"Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir bei den Kindern anfangen."
Yehudi Menuhin
"Die Malerin als wahre Lehrerin - Wie Carmen Stallbaumer die Vernissage im Zeitungshaus kurzerhand ihren Schülern widmete" Jörg Nolle, Waiblinger Kreiszeitung
Gesamter Artikel: KreisWN.pdf
"Der Schnurrbart aus lila Perlen, oder wie Kinder der Hertmannsweiler Grundschule ihren Beitrag für eine Kunstausstellung vorbereiten" Martin Schmitzer, Winnender Zeitung
Gesamter Artikel: LilaPerlen.pdf
Das MUS-E Programm der Yehudi Menuhin Stiftung
Yehudi Menuhin fragte sich: „Wie müssen Menschen ausgebildet sein, die in einer Welt der Begegnung und Vielfalt ihre kulturelle und persönliche Identität erwerben und bewahren – und überdies in Frieden miteinander leben sollen?“ und gab seinem Traum einen konkreten Rahmen: 1992 ruft er MUS-E ins Leben, 1993 die International Yehudi Menuhin Foundation in Brüssel, um von hier aus seine Vision in 14 weiteren europäischen Ländern umzusetzen. 1999 – kurz vor seinem Tod – gründet er die Yehudi Menuhin Stiftung Deutschland mit dem Ziel, MUS-E in Deutschland umzusetzen.
Künstler (Bildende Künstler, Choreografen, Tänzer, Schauspieler, Theaterpädagogen, Musiker) begleiten eine Schulklasse für drei Jahre. Jede Woche sind wir Künstler für 2 Schulstunden in „unseren“ Klassen und tauchen mit den Kindern in die Kunst und den Prozess kreativen Schaffens ein – völlig frei – ohne Lehrplan oder Notendruck. Eine Lehrkraft nimmt ebenfalls teil und jeder ist ein Teil der Gruppe.
Ziel von MUS-E ist es, die Persönlichkeit eines jeden Kindes zu entfalten, seine Kreativität und künstlerische Ausdrucksfähigkeit zu fördern. Darüber hinaus soll durch die Arbeit im Klassenverband die soziale Kompetenz gestärkt werden.
Carmen Stallbaumer: Meine Arbeitsweise
Ich begegne den Kindern als Künstlerin – und auch die Kinder sollen sich in der Begegnung mit mir als Künstler begreifen.
Kunst bietet dafür ideale Voraussetzungen und Möglichkeiten: In der Kunst gibt es kein „Richtig“ oder „Falsch“, denn jede Arbeit ist ein innerer Prozess, der nur dann zu einer Befriedigung und Freude führt, wenn er mit ganzem Herzen geschieht.
Unsere Themen sind Fragestellungen nach unseren Standpunkten im Leben: Wie zum Beispiel: Was ist mir wichtig? Was gehört zu mir? Von was träume ich? In sich hineinzuhorchen, die eigene Meinung zu finden und den Gefühlen Ausdruck zu geben ist das Ziel. In diesem Prozess entstehen Toleranz und Offenheit für die Vielfalt der Menschen, andere Kulturen und neue Erfahrungen, Freude und Selbstbewusstsein über die eigene Leistung.
Mit diesem Ziel arbeite ich: Das Kind nimmt sich selbst als Künstler wahr, als gestaltenden und schöpfenden Mensch, der in dieser Arbeit vor allem sich selbst verpflichtet ist, seinem eigenen Anspruch und stimmigen Ausdruck und damit dem Glück und der Zufriedenheit über das eigene Werk.
Bei allen Projekten soll jedes Kind ganz eigenständig erspüren und entwickeln, wie eine stimmige Umsetzung für es selbst aussieht. Meine Rolle ist die einer Wegbegleitung, einer Bestätigung und Ermunterung, die Umsetzung der eigenen Ideen zu wagen, das Durchhaltevermögen zu stärken und das Scheitern zu begleiten: Zu erleben, dass Fehler unvermeidlich sind wenn wir neue Wege beschreiten und dass es darauf ankommt sich nicht entmutigen zu lassen, sondern weiterzumachen. Andere, neue Wege zu suchen, gehört zu den Erfahrungen, die in den MUS-E-Stunden prägend sind.
„Wenn nicht das eine oder andere Mal etwas fehlschlägt, ist das ein Zeichen dafür, dass man nichts wirklich Innovatives tut!“
Für manche Kinder ist das überhaupt kein Problem – sie sprühen vor Ideen und haben eine große innere Sicherheit in ihrer Arbeit – sie nehmen sich die Freiheit, die sie brauchen; die Umsetzung kann ganz nah an der gestellten Aufgabe liegen oder sehr weit greifen. Das ist wunderbar und genau so gewollt – denn die Aufgabe ist nur unser Ausgangspunkt – von dem aus man in alle Richtungen gehen darf – so weit wie man möchte.
Andere Kinder haben sehr wenig Erfahrung mit dieser Art von Arbeit und sind unsicher. Es fehlen eigene Ideen oder die Angst, etwas „falsch“ zu machen, blockiert sie. Vor allem für sie sind dann Kriterien und erste Aufgabenstellungen gedacht, an denen sie sich zuerst entlang hangeln können, um nach Ermunterungen und viel Bestätigung freier und sicherer zu werden und mehr zu wagen.
Bei aller Freiheit gibt es wichtige Ziele, die ich mit den Kindern erreichen will. Ich möchte spüren, dass ihr Werk ihnen etwas bedeutet und sie bereit sind, sich dafür einzusetzen und Mühe dafür in Kauf zu nehmen. Die Kinder sollen ganz bei sich selbst sein, wenn sie arbeiten, und Beständigkeit und Durchhaltevermögen entwickeln.
Deshalb kann es sein, dass ich ein Kind immer wieder ermuntere, weiter an seinem Bild zu arbeiten, eine Theaterszene intensiver zu gestalten, eine Tanzsequenz zu erweitern – weil ich wahrnehme, dass dies in diesem Moment richtig ist, dass die Arbeit noch nicht vollendet ist und es eine entscheidende Erfahrung sein wird, wenn dieses Kind erlebt, was mit ihm und seiner Kunst passiert, wenn es „dran bleibt“ und nicht einer augenblicklichen Bequemlichkeit nachgibt.
Andererseits kann es sein, dass ein sehr reduziertes Werk absolut fertig ist, weil das Kind alles damit „gesagt“ hat, was zu sagen ist – diese Unterschiede zu erspüren, ist ein Teil meiner Arbeit.
Ein weiteres Ziel ist eine tiefe gegenseitige Wertschätzung und Achtung, die soweit gehen soll, dass keine Bewertung mehr stattfindet, sondern ein offenes Betrachten der Werke der anderen, die Suche nach den Teilen darin, die einen selbst berühren und die Bereitschaft andere Sichtweisen unvoreingenommen anzuhören und zu tolerieren.
Diese Prozesse brauchen Zeit. Die Freiheit, die die Kinder sich nehmen dürfen und sollen, um dann ihre Eigenreferenz zu stärken, ist für sie zu Beginn ungewohnt und den Umgang damit müssen sie lernen.
Die LehrerInnen und ErzieherInnen sind mit ihrer Kompetenz und Erfahrung ein wichtiger Teil meiner MUS-E-Arbeit, ihre Unterstützung des kreativen Prozesses ist ein wichtiger Bestandteil des Projekts.
Für die Kinder muss spürbar sein, dass wir - das Lehrer-Erzieher-Künstler-Team, sich wertschätzt und achtet, dass die Beziehung von gegenseitigem Vertrauen und Unterstützung geprägt ist.
"Ich glaube nicht, dass Kreativität die Gabe einer guten Fee ist. Ich glaube, sie ist eine Fertigkeit, die wie Autofahren geübt und gelernt werden kann. Wir halten die Kreativität nur für eine Gabe, weil wir uns nie bemüht haben, sie als Fertigkeit zu üben."
© Carmen Stallbaumer 2011